Eindrücke von der Friedensfahrt Paris - Dresden - Moskau

12.6. Bis 16.8.2008


In der Radwelt las ich die Anzeige zu der Friedensfahrt Paris-Moskau-Peking; das interessierte mich und ich beschaffte mir Informationen aus dem Internet:


Austräger der Friedensfahrt ist „Bike for Peace and New Energies gemeinnütziger e. V.“. Teilnehmer für diese Friedensfahrt sind aus allen Nationen eingeladen, insbesondere aus den Ländern, die von der Friedensfahrt durchfahren werden.


Der erste Teil, Paris bis Moskau, wird per Rad zurückgelegt, der zweite Teil, von Moskau bis Peking, mit der Transsibirischen Bahn. Man kann an der gesamten Tour oder nur an Teilstrecken mitradeln.


In der Satzung des Vereins finde ich die Leitmotive der Friedensfahrt:


(1) Zweck des Vereins ist die Förderung des friedlichen Zusammenlebens der Völker.


(2) Der Zweck soll erreicht werden durch die Durchführung von Breitensportveranstaltungen, insbesondere in den Sportarten Radfahren, Laufen, Ski und Kanusport, die Durchführung von internationalen Begegnungen und Seminaren und von Friedensradfahrten, die Förderung und Durchführung internationaler Austauschmaßnahmen, insbesondere zwischen Ländern Ost und Westeuropas.


(3) Der Verein erstrebt nationale und internationale Zusammenarbeit mit Vereinigungen und Einrichtungen mit gleichem oder ähnlichem Ziel.


Auf dem Flugblatt, das ich beim Anmelden erhalte, erfahre ich weitere Grundsätze dieser Tour:


- Erneuerbare Energien statt Kriege um Öl


- Abrüstung und sozialer Ausgleich


- Friedenpolitik statt Militärgewalt


- Krieg darf kein Mittel der Politik mehr sein


- Nachhaltiges friedliches Europa schaffen


- Abschaffung aller Atomwaffen bis 2020


- Sportliche Begegnung im olympischen Geist


Das ganze Unternehmen steht unter Schirmherrschaft hochrangiger Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens und wird gesponsert durch eine Vielzahl sog. alternativer Firmen.


Abschließend wird hingewiesen, dass die Veranstalter kein Reisebüro sind, sondern ein paar Friedens- und Umweltaktivisten, die sich zusammengetan haben und wobei jeder Teilnehmer zur Mitwirkung aufgefordert ist.


Soweit, so gut politically correct; die Ziele und Grundsätze deckten sich mit den meinigen.


Aus zeitlichen Gründen wollte ich nur an der Teilstrecke Dresden–Moskau teilnehmen. Ich packte mein Rad und schloss mich in Dresden den Friedensradlern an.



Abschnitt Bundesrepublik


In Dresden wurde deutlich, dass an der Umsetzung der „Friedensfahrt Idee“ die Partei „Die Linke“ mit beteiligt war. „Die Linke“ organisierte zweimal die Verpflegung der ganzen Gruppe. Grundsätzlich war dagegen nichts zu sagen, aber es wäre korrekter, die Teilnehmer vor der Anmeldung zu informieren, dass auch „Die Linke“ zu den Unterstützern gehörte. Ich ging jedenfalls, angesichts der Tatsache, dass ein Tagesgeld erhoben wurde, davon aus, dass die Friedensfahrt unparteiisch und politisch unabhängig durchgeführt wird.


Die Übernachtungen erfolgten in der Regel in Turnhallen, bzw. es wurde gecampt.


Bis zur polnischen Grenze wurde in Gruppen von 10 bis 12 Personen geradelt, was sehr angenehm war und sich bezüglich der Sicherheit im Verkehr als notwendig erwies. Insgesamt waren immer ca. 50 bis 60 Teilnehmer täglich auf den Rädern.




Abschnitt Polen



Die Fahrt durch Polen entwickelte sich problematisch:


Ursprünglich bestand die Absicht, Polen öffentlichkeitswirksam in einem großen Pulk zu durchfahren, was machbar ist, wenn ein Begleitfahrzeug vorne und eins hinten mitfährt. Leider waren aus unterschiedlichen Gründen die beiden Begleitfahrzeuge nicht dafür einsetzbar.


So fuhren wir wieder in Gruppen. Anbetracht des starken Verkehrs wäre alles andere unverantwortlich gewesen.


Für die Fahrt in Gruppen benötigte man aussagekräftiges Kartenmaterial, das allerdings erst kurz vor Verlassen Polens zur Verfügung stand.


Zur Orientierungsschwierigkeit kam ein weiteres Problem hinzu.


Das Organisationsteam war häufig nicht in der Lage, rechtzeitig vor Ankunft der ausgehungerten und erschöpften Radler am Tagesziel zu sein. Essen gab es dann sehr, sehr spät manchmal erst kurz vor Mitternacht. Überflüssig zu erwähnen, dass am nächsten Tag wieder um 5 Uhr aufgestanden werden musste, um eine längere Tagesetappe zu bewältigen.


Es stand der Vorwurf an den Organisator der Friedensfahrt im Raum, dass er sich nicht hinreichend um das Organisatorische kümmere. Sein Verhalten würdigt in keiner Weis


e die Leistung der Friedensradler und erschien verantwortungslos. Im Gespräch über die teilweise Missorganisation stellte der Organisator sich als Mobbingopfer dar, da er sich doch Tag und Nacht für das Gelingen der Tour eingesetzt habe. Nach dem 12.6.2008 habe er alles an das „Orgateam“ und die Teilnehmer abgegeben und sei nun ein Teilnehmer wie jeder andere auch.


An etlichen Tagen war er nicht bei den Teilnehmern, sondern unterwegs mit einem der Begleitfahrzeuge (das dann der Gruppe und dem „Orgateam“ fehlte), um die noch unerledigten Visa zu erhalten.


Wir durchquerten Polen zügig, ohne Zeit zu verlieren, fast wie im „Transit“ zu DDR Zeiten, wie ein Friedensradler treffend bemerkte. Polens außergewöhnliche Kulturlandschaft konnte man nur erahnen, ebenso würde man zahlreichen Zeugnissen der jüngsten Vergangenheit vermuten, von bis auf die Gedenkstätten des Getto- und des Warschauer-Aufstandes in Warschau keine besuchten.


Gab es keine anderen Zeugnisse, die die Friedenradler hätten aufsuchen können?




Abschnitt Belarus



In Belarus sollte alles besser werden, weil dort ein Profi die Tour im Land organisierte. In der Tat, unsere „belarussischen Freunde“ behandelten uns wie Staatsgäste. Gleich an der Staatsgrenze gab es einen Empfang mit Reden, Trachten und einer Militärkapelle. Dabei wurde uns Fremden nach alter Tradition Brot und Salz angeboten. Ein schöner Brauch. Ab der Grenze fuhren wir im großen Pulk mit Polizei vorne und Krankenwagen hinten. Zu unserer Sicherheit, wie es hieß. Wir wurden so durch das ganze Land geführt, von Empfang zu Empfang, von Ehrenmal zu Ehrenmal, von Mahlzeit zu Mahlzeit, von Turnhalle (= Schlafplatz) zu Turnhalle, kurz zu allem, was wir sehen und worüber wir berichten sollten. Das Tagesprogramm war vollständig durchorganisiert. Nichts blieb dem Zufall überlassen, es bestand kaum die Möglichkeit, sich irgendwo auszuklinken, weil die Abhängigkeit von der straffen Organisation und der damit verbundenen Versorgung der Gruppe unausweichlich miteinander verknüpft waren.


Zwei Ereignisse möchte ich erwähnen, wo das Besichtigungsprogramm nicht hinreichend mit dem Veranstalter abgestimmt worden sein kann, jedenfalls mir und anderen Friedensradler nicht vereinbar mit dem Zweck und den Grundsätzen dieser Reise vereinbar schien.


Uns wurde kurz zuvor angekündigt eine Fabrik zu besichtigen, die Schwerstlastfahrzeuge bis zu 300 t Tragkraft herstellt. Die Firma „Belaz“ stellt in der Tat beeindruckend große Fahrzeuge her. Aber was hat das mit der Friedensbewegung zu tun? Einige kritische Teilnehmer fragten zu Recht, ob das Werk nicht auch Panzer herstellt? Technologisch wäre dies vorstellbar. Die Frage blieb offen. Nachträgliche Recherchen im Internet ergaben keine konkreten Hinweise zu dieser Vermutung. Um Irritationen zu vermeiden, sollten solche sensiblen Besichtigungen rechtzeitig den Teilnehmern bekannt gemacht und in einen Zusammenhang mit der Friedensfahrt gebracht werden.


Ein anderes Mal, wiederum nur mit kurzer Vorankündigung, wurde ein Globus für ein Gruppenfoto vor einer Kunstdünger Fabrik aufgesucht. Der Globus war ein ausrangierter Gastank, diente aber werbewirksam für die Kunstdüngerfabrik.


Man muss sich nun vorstellen wie die Friedensradler naiv vor dem Globus für das Gruppenfoto posieren.


Wie kann das noch vereinbar sein mit dem Anspruch, für neue Energien einzutreten, wo jedermann weiß, dass Kunstdüngerfabriken energieintensive Betriebe sind, deren Energiebedarf nicht mit ein paar Windrädern zu decken ist? Außerdem widerspricht er dem Gedanken der „Nachhaltigkeit“.


Verpflegung wurde uns reichlich angeboten. Das Wasser aus der Leitung war nicht trinkbar. Trinkwasser gab es nur in Flaschen abgefüllt oder als solches zu kaufen.


Seit Betreten von Belarus waren die sanitären Anlagen ein unangenehmes Thema. Im Allgemeinen standen sie nicht in zureichender Anzahl zur Verfügung, waren eklig, oft nicht richtig funktionierend und für uns sehr gewöhnungsbedürftig.


Auch kam es vor, dass in einem Ort kein Wasser aus den Hähnen bzw. in das WC kam. Das hätte sicher nicht sein dürfen. Man muss der Organisation hoch anrechnen, flexibel auf dieses Problem reagiert zu haben. Wir wurden kurzerhand in ein altertümliches Badehaus mit Sauna gefahren, das den Charme von Vorvorgestern hatte, aber voll funktionstüchtig war und uns allen ein ganz besonders einprägsames Erlebnis wurde, wovon ich heute noch schwärme.


Was anfangs interessant, weil neu war, wurde auf die Dauer des Aufenthaltes in Belarus zur lästigen Pflicht. Das waren die zahllosen offiziellen Empfänge in den Ortschaften, die wir durchfuhren. Das Ritual war immer dasselbe: Eine Empfangsrede des Bürgermeisters an einer Bezirksgrenze mit Werbung für seinen Bezirk als Touristenziel oder vor einer Kulisse eines Denkmales vom ruhmreichen Sieg im großen vaterländischen Krieg über die Faschisten oder Gedenkstätten der Opfer mit noch überlebenden Veteranen, gefolgt vom Austeilen von Brot und Salz durch bildhübsche Trachtenfrauen mit abschließender Dankesrede der Bikeforpeace-Organisation.


Aber es gab auch Momente, die mich persönlich berührten. Ich denke insbesondere an den Besuch der Gedenkstädte non Gorodeya in der Nähe von Mir, wo ein Dorf mitsamt seinen jüdischen Einwohnern von den Faschisten verbrannt worden war.


Es berührte durch seine Schlichtheit und seine Unauffälligkeit und die unvorstellbare Brutalität der Besatzer.


Genauso berührend war der Besuch der Gedenkstädte Chatyn zu Ehren der 2,5 Mio. Belarussen, bzw. deren Dörfer, die von den Faschisten in grausamster Art vernichtet worden sind.


Für mich persönlich hat sich die Friedenfahrt dafür alleine schon gelohnt.


Dagegen fand ich den offiziellen Umgang der Belarussen mit ihrer jüngsten Vergangenheit äußerst befremdlich. Es war nie Rede von ihren Kollaborateuren, die den Faschisten willig gedient hatten, oder von den Opfern des Stalinismus. Es gab nur Sieg über den Faschismus.


Die Geschichte wurde dahingehend umgedeutet, dass die ruhmreiche sowjetische Armee im großen vaterländischen Krieg als Sieger über den Faschismus triumphierte. Die Denkmäler und Gedenkstätten, die wir gesehen haben, geben diese Inszenierung in der offiziellen Version unter Verwendung aufwändiger Materialien wie Stahl, Bronze, Stein und Beton wieder. Eine Aufarbeitung der Geschichte scheint nicht angefangen zu haben.








Abschnitt Russland



Die belarussische russische Grenze überschritten wir, bis auf das Begleitfahrzeug, ohne Kontrollen. Auch in Russland wurde die Friedensfahrt ähnlich wie in Belarus organisiert, allerdings nicht so straff und nicht so konsequent. Russland ist im Moment im Umbruch. In Smolensk erfahren wir mehr zufällig, dass sich die Gedenkstätte Katyn nur einige Kilometer von unserem Übernachtungsort befindet. Katyn ist erstaunlicherweise nicht auf unserem Tagesprogramm. Es ist eine Gedenkstätte zur Erinnerung an die mehr als 4000 polnischen Offiziere, die auf Befehl Stalins exekutiert worden sind, um die unter den Sowjets operierenden polnischen Armeen führerlos zu machen. Gorbatschow ist es zu verdanken, dass hier eine Aufarbeitung der stalinistischen Ära angefangen hat.


Wir radeln weiter durch Gegenden, deren Dörfer oft von Menschen verlassen sind, viele Felder werden nicht mehr bestellt.


Bei Beresina und Borodino besichtigen wir Denkmäler des napoleonischen Feldzuges.


Unsere Route bestand teilweise aus extrem breiten, gut asphaltierten Strassen fast ohne Verkehr, und hin und wieder aus Sandwegen, auf denen gelegentlich das Rad geschoben werden musste. Je näher wir uns Moskau näherten, desto belebter und gepflegter wirkten die durchfahrenen Ortschaften. Auch der Verkehr nahm spürbar zu. Der uns fast immer begleitende Polizeischutz wird erstmals bei der Einfahrt über die Autobahn in Moskau zu einer Notwendigkeit. Die Polizei führte uns bis zum Rande des Roten Platzes, an dem ein Empfang und die Abschlusskundgebung stattfanden.


Am nächsten Tag besichtigten die Teilnehmer auf eigener Faust die Stadt. Moskau wirkt weltstädtisch, majestätisch und dynamisch und hat mit dem Russland, das wir in den paar Tagen durchfahren haben,


wenig gemein. Jedenfalls die Menschen sind todschick, übernehmen vieles, das „westlich“ ist, selten habe ich so konzentriert so viele hochpreisige Luxusautos gesehen wie hier. Fremden gegenüber erlebe ich die Moskauer freundlich und hilfsbereit, die Preise sind exorbitant, die schnelle Metro, die im Minutenabstand fährt, ist ein Erlebnis wert.


Aus der Fortsetzung der Reise mit der Transsibirischen Bahn nach Irkutsk / Baikalsee bzw. weiter zu den Olympischen Spielen nach Peking ist nichts geworden, denn wir erhielten keine Visa, da der Veranstalter dieser Tour die Beschaffung zeitlich nicht rechtzeitig auf die Reihe gekriegt hat. Sehr zum Bedauern einiger Teilnehmer, die sich auf den Veranstalter verlassen und z.T. Unterkunft und Rücktransport schon gebucht hatten.


Im Nachhinein ist man immer klüger. Anspruch und Wirklichkeit klaffen deutlich auseinander. Es reicht nicht aus, dass der Veranstalter sich am Anfang der Tour nur als mitfahrender Teilnehmer definierte und sich jeder weiteren Verantwortung zu entziehen versuchte. Das Organisationsteam hat trotz des Chaos eine anerkennenswerte Leistung erbracht. Die Organisation kann aber nicht besser sein, wenn vom Veranstalter keine klaren Vorgaben, Kompetenzzuweisungen, Rahmenbedingungen und Kontrollen vorgegeben werden. Eine gute Idee und die Vorgabe, dass sich die Gruppe selbst organisieren soll, reichen, wie wir erlebt haben, nicht aus, um so eine Veranstaltung zu organisieren, wenn man Chaos und negative Gruppendynamik wie in unserem Fall vermeiden will.


Jedenfalls sollte man künftigen mitfahrende Friedensradler darauf hinweisen, dass eine große „Chaos Resistenz“ Voraussetzung für die Teilnahme ist, damit jeder im Vorfeld weiß, worauf er sich einlässt.


Im Übrigen verweise ich auf die laufend aktualisierten Berichte, einzusehen auf der Homepage der Organisation:


www.bikeforpeace-and-new-energies.net.


Weitere Fotos sind im Link " Fotogalerie" anzuschauen.


Alexander Jung