Radtour Patagonien

von Bariloche nach Ushuaia

11.2. bis 22.4.2008

Die Reisezeit hatte ich so ausgesucht, dass wir seitens der besonderen klimatischen Bedingungen in Patagonien möglichst günstige Umstände zu erwarten hätten. Dies betrifft insbesondere den allgegenwärtigen Wind, der Patagonien so eigen sei und Radfahrern schnell in KO-Lage bringen kann. Die Fahrtrichtung hatte ich ausgearbeitet, dass der Wind – bitteschön - möglichst „schiebt“.


Da wir sowohl Rad fahren als auch wandern wollten, mussten wir uns für beide Arten der Fortbewegung entsprechend vorsehen. Ausserdem müssten wir unterwegs möglichst autonom sein, da die Versorgungsmöglichkeiten oft weit auseinander liegen: d.h. die „Scheckkarte“ alleine hätte dafür nicht gereicht. Dagegen wurde Mitnahme von Zelt, Schlafsäcken, Proviant und Wasser in größeren Mengen, Rucksäcke, wandertaugliche Radschuhe, Wanderstöcke notwendig. Und last not least: es soll eine Genusstour werden!


Der Interkontinentalflug brachte uns und unsere Räder nach Buenos Aires / Argentinien. Von dort fuhren wir mit einem dieser superkomfortablen Fernbusse über Nacht in 18 Stunden nach Bariloche. Im Vergleich zu dem Interkontinentalflug war die Busfahrt Erholung. Bariloche liegt am Fuß der Anden auf der argentinischen Seite, ca. 1600 Km von Buenos Aires entfernt. Bariloche liegt wunderschön eingebettet vor der Andenkulisse am Lago Nahuel Huapi und ist touristisch, laut und es gibt leckere Schokolade.


Ab hier bestiegen wir unsere schwer bepackten Räder mit Ziel in Richtung der chilenischen Seite der Anden. Dazu nutzten wir eine touristisch erschlossene Möglichkeit, die Anden über den Pass Pérez Rosales zu überqueren. Die Route durchquerte einen Nationalpark und führte über drei Seen mit dazwischen liegenden unbefestigten Pisten im miserablen Zustand.


Der Transport über die Seen erfolgte über Katamarane, da keine Uferwege vorhanden waren. Natur pur und der Wechsel von engen steilen Kurven, wo die Räder gerne seitlich wegrutschten und kurze anstrengende Anstiege und darauf folgende lange Abfahrten im Geröll bzw. den zwangsweise sich ergebenden Ruhepausen auf den Katamaranen machten die Tour abwechslungsreich und spannend. Und natürlich darf nicht unerwähnt bleiben, die phantastische Andenlandschaft mit ihren teilweise schneebedeckten Berggipfeln und erloschenen Vulkanen, von denen der Vulkan Osorno mit seiner Idealform und Mächtigkeit uns unvergesslich bleiben wird. Die Andenquerung war begleitet vom besten Hochsommerwetter und wohlverträglichen Temperaturen. Die Passkontrollen zwischen Argentinien und Chile verliefen alle sachlich und freundlich ab. Es war einfach wunderschön und wir waren über den gelungenen „Anfang“ ganz glücklich.


In Chile durchfuhren wir eine Gegend, die augenscheinlich von deutschsprachigen Siedlern bewohnt ist. Viele alte Bauernhäuser erinnern an den Schwarzwald. In den kleinen Orten, die wir durchfuhren, wurde immer wieder „Kuchen“ angeboten und der „Club alemán“ in Puerto Varas war ein weiteres Zeugnis. Weder hatten wir bereits Hyper auf deutschen Kuchen noch haben wir aus nostalgischen Gründen diesen Teil von Chile ausgesucht. Unser Ziel war schlicht und ergreifend in Puerto Montt ein Schiff nach Puerto Natales zu nehmen. Puerto Montt ist eine hässliche Hafenstadt; das städtebauliche Konzept geht nicht über die Uferpromenade hinaus und einigen angrenzenden Bereiche, wie z. Bsp. die Aufreihung der bronzenen Obristengarde nach sowjetischen Vorbild und den ordentlich angeordneten Parkbänken. Bis zur Abfahrt des Schiffes verbrachten wir deshalb ein paar Tage im nahe gelegenen National Park Alerce Andino, wo wir im dichten Urwald in üppiger Vegetation wanderten.


Die Schiffspassage mit der „Navimag“ ist kein Geheimtipp mehr, trotzdem sie ist nicht touristisch überlaufen. Das Schiff fährt wöchentlich die Strecke Puerto Montt / Puerto Natales und zurück durch eine einzigartige atemberaubende Küsten- und Fjordlandschaft, wo die Gletscher z.T. die noch an den Küsten vorhandenen Regenwälder durchfließen, um schließlich im Pazifik zu kalben.


Und das Schiff fuhr daran vorbei. Während der 3,5 Tage dauernden Passage durchkreuzte das Schiff fast alle Jahreszeiten: je südlicher man gelangte, umso kahler und felsiger wurde die Uferlandschaft und umso ruppiger wurde das Klima. Die Schiffspassage war wie Breitleinwandkino nur besser und echt. Die Sonnenaufgänge waren nicht kitschig, sie waren atmosphärisch dicht und verzauberten die Küstenlandschaft. Einfach wunderbar!





Für mich war dieser Reiseabschnitt besonders und gehörte zu den ganz einprägsamen Erinnerungen dieser Tour. Ab Puerto Natales fuhren wir wieder mit den Rädern weiter. Unser nächstes Ziel war der National Park Torres del Paine. Im Park gäbe es kaum Möglichkeiten sich zu verproviantieren.Nahrungsmittel kauften wir also in ausreichender


Menge für die nächsten 12 Tage in Puerto Natales. Die Auswahl haltbarer und leichter Nahrungsmittel war nicht sehr groß. Wir fanden uns damit ab und ergänzten den Proviant mit einigen Gewürzen, um die „Küche“ reichhaltiger zu variieren. Wasser gab es unterwegs genug.


Bis zum Park war es nicht sehr weit, mit Berücksichtigung einer unbefestigten Piste, die hier „ripio“ genannt wird und hügeligem Bergland hatte ich 1,5 Tage veranschlagt. Wir brauchten brauchten die doppelte Zeit! Der Wind blies stetig und heftig, in der Regel von vorne und nicht wie bestellt von hinten! Außerdem waren die Anstiege steiler als meine Einschätzungen nach Google Earth.


Erste Zweifel kamen hoch. Versuche durch mehr Anstrengung beim Pedalieren auszugleichen waren ziemlich erfolglos. Manchmal schafften wir eben nicht mehr als 30 km am Tag! Aufgeben wollten wir so schnell nicht. Dafür war das Erlebte bis jetzt zu schön, alleine wenn ich an den Besuch der prähistorischen Höhle des Riesenfaultiers, das sog. Milodón und unsere idyllischen Zeltplätzchen zurückdachte. Außerdem feuerten uns die gelegentlich vorbeifahrenden Autofahrer und Touristen an wie die „Claqueure“ bei der Tour de France. Also zur Not hätten wir noch einen Zeitpuffer und wären frei umplanen zu können. Der National Park Torres del Paine ist ein gewaltiges von den Anden unabhängiges Massiv, das durch aufgestiegenes Magma in den Verwerfungen der Erdkruste entstanden ist. Nach großräumiger Jahrmillionen dauernden Abtragungen der Sedimente sind deren kristalline Schlünde stehengeblieben, die wie riesige Türme aus dem Gebirgskomplex herausragen.



Unser Vorhaben war, eine 8 tägige Wanderung auf dem Circuito und zwei Abstecher in das Innere vorzunehmen. Nach der Wanderung, sattelten wir unsere Räder und verließen noch ganz benommen diese Gegend.


Unser nächstes Ziel war der National Park Los Glaciares in Argentinien. Zuerst wollen wir zu dem Gletscher Perito Moreno fahren. Er liegt nur ca. 70 Km Luftlinie nördlich entfernt.


Um dort hin zu gelangen, ist die Grenze zu überschreiten und ein Umweg von 4 Tagen durch das steppenartige Anden Vorland hinzunehmen. Eine direkte Piste gibt es nicht. Kurz vor der Grenze konnten wir uns wieder in einem kleinen Ort mit dem Notwendigsten verproviantieren. Ab jetzt musste Wasser mitgeschleppt werden. Die Steppe ist trocken. Wir nahmen die berühmt berüchtigte Ruta 40. Dieser Abschnitt war anstrengend zu fahren wegen dem schlechten Zustand der „ripio“ Pisten und dem ständigen Gegen- oder Seitenwind. Der Wind war inzwischen unser treuester Begleiter geworden. Die erste Lektion in der Sache „Wind“ erhielt ich beim Durchqueren eines Talbodens. Ich fuhr relativ geschützt vom Wind den Berg hinunter. Meine Geschwindigkeit war angemessen an die wellblechartige steinige Lehmpiste. Also ich war zum Glück nicht schnell. Kaum fuhr ich aus dem Windschatten heraus, erfasste mich der Wind unvermittelt, versetzte mich seitlich und brachte mich zum Sturz. Der Wind blies wie durch eine Düse gepresst durch das Tal. Ich hatte alle Mühe meine Knochen einzusammeln und mein schwer bepacktes Rad quer zum Wind aufzurichten. Weiterfahren war so gut wie unmöglich. Der nächste Windschatten war auf der anderen Seite des Talbodens. Die Lösung des Problems war das Rad quer zum Wind durch die Senke des Talbodens zu schieben, eben „push-biken“. Mit aller Kraft musste ich mich in Schräglage gegen den Wind stemmen. Ein unwürdiger Anblick für einen Radfahrer!


Aber es gab auch Momente der Ruhe und der Beschaulichkeit. Unterwegs begegneten wir immer wieder Herden von Guarnacos und Nandus. Nandus sind Laufvögel, mit denen ich öfters um die Wette fuhr, wenn die Pisten es zuließen. Und zu unserem Erstaunen gab es auch viele Kondore, die in der Steppe nach Kleintieren jagten. Wir übernachteten immer im Freien nach dem Werbe Slogan „draußen zu hause“.


El Calafate war der nächste Ort in Reichweite des National Parks Los Glaciares. Hier wurden wir von der Zivilisation eingeholt. Der Ort ist hässlich, er wirkt wie schnell zusammengeschustert, die Bebauung besteht hauptsächlich aus einfachen Hütten mit vorgestellten schicken Fassaden und Schaufenstern. Hier gibt es alles, was der moderne Mensch begehrt: Geldautomaten, Lebensmittelgeschäfte, Luxusgeschäfte, Outdoor Ausrüster, Reisebüros für Outdoor Touren, ein Flughafen, Autovermietungen, Restaurants, Hotels, und, und, und… Der ganze Ort lebt ausschließlich vom Tourismus. Das Objekt der Begierde der Millionen Touristen, die hier alljährlich per Flugzeug, Reisebus, Mietauto oder sogar mit dem Fahrrad herkommen ist natürlich der Gletscher Perito Moreno. Er wird vermarktet wie ein Produkt. Er schafft Arbeitsplätze und bringt Devisen ein. Das besondere an dem Gletscher ist, dass er seinen Schmelzsee in zwei Hälften teilt. Die Gletscherzunge gelangt durch den See bis an das andere Ufer und bildet somit einen natürlichen Staudamm aus Eis. In der einen Seehälfte ohne Abfluss staut sich das Schmelzwasser an und ca. alle 6 Jahre ist es dann so weit: der natürlichen Staudamm aus Eis bricht und der aufgestaute See entleert sich mit einer enormen Flutwelle und begleitet von lautem Trara und Klatschen der Zuschauer. Leider waren wir ein paar Jahre zu früh da! So ein Pech! Als wir vor Ort waren, wurden wir mit einem kleinen Trost belohnt für das entgangene vorgezogene Spektakel: ein 50 m hoher Serac von der Abbruchkante stürzte mit fürchterlichem lautem Rumsen und Krachen in den See, dabei wurde eine mächtige Flutwelle ausgelöst. Wow!


Unser nächstes Ziel im National Park Los Glaciares war das Massiv um den Fitz Roy. Um dort hin zu gelangen benötigten wir 3 Tage. Die großen Schmelzwasser Seen Lago Argentino und Lago Viedma erzwangen große Umwege. Zu unserer Freude waren große Bereiche der Straße asphaltiert. Auch der Wind schob gelegentlich. Wasser gab es wieder überall: die Steppe ist von vielen Schmelzwasser Flüssen durchflossen. Noch einmal kriegten wir die volle Wucht des Windes zu spüren: Das letzte Teilstück durch die Meseta del Viento (Hochebene des Windes) hatte es in sich. Kaum zweigten wir von der Ruta 40 in die Straße, die uns zu unserem Etappenziel bringen sollte, standen wir wie angenagelt vor einer undurchsichtigen Wand. Wir kämpften stundenlang gegen den Wind und gaben „unser Letztes“ um ein paar Kilometerchen zurückzulegen. Völlig fertig mussten wir im Windschutz eines Erdwalls das Zelt aufbauen und den nächsten Morgen abwarten. Unsere Hoffnung war, dass in den frühen Morgenstunden der Wind nachließ und ein Weiterkommen möglich sein würde. Der Wind blies die ganze Nacht mit unverminderter Stärke. Der Versuch am nächsten Morgen weiter zu pedalieren scheiterte ebenso. Wir schienen in eine Windmaschine geraten zu sein. Noch als wir beratschlagten, wie diese Maschine abzustellen sei, hielt ein Pick-up mit einem Einheimischen, der uns kurzerhand mit Rad und Pack nach El Chaltén fuhr. Der Ort El Chaltén ist ebenfalls wie El Calafate ein schnell zusammengeschustertes Plätzchen, allerdings viel kleiner und es herrscht Goldgräberstimmung: alles ist ausgerichtet den Tourismus vor Ort zu organisieren und damit eine eigene

Existenzgrundlage zu schaffen. Im Gegensatz zu El Calafate sind die Hütten schäbiger, die Straßen sind nicht asphaltiert, es gibt keine Bankautomaten, keinen Flughafen. Dafür gibt es ein paar wenige Hotels, Campingplätze, Lebensmittelgeschäfte und sogar gute Restaurants und nicht zuletzt Confiterias, wovon ich nur schwärmen kann. Der kleine Ort El Chaltén mausert sich als Basis für Wander- und Klettertourismus. In El Chaltén unternahmen wir darauf eine weitere 4 tägige Wanderung in das Massiv des Fitz Roy.








Beim Verlassen des Ortes El Chaltén mussten wir anfangs denselben Weg zurückfahren und gerieten wieder in die Windmaschine. Mit unseren schwer bepackten Räder, frisch verproviantiert mit Lebensmittel und Wasser, schätzungsweise 35 bis 40 Kg pro Rad, brausten wir lässig mit guten 50 Km/Std durch die Steppe auf der gut asphaltierten Straße in Richtung Atlantikküste. Bis zum nächsten größeren Ort, wo wieder Proviant eingekauft werden kann, liegen 350 Km vor uns. Wasser soll es zwischendurch geben in Laguna Grande und Estancia La Julia, bzw. die Piste folgt parallel einem Fluss, der in einem Abstand von ca. 5 bis 15 Km notfalls zu Fuß erreichbar wäre. Unsere euphorische Stimmung wurde je abgebremst, als wir bei Tres Lagos von der Ruta 40 in die Ruta 288 abzweigten und wieder, weil es so unterhaltsam war, „ripio“-Piste fahren mussten. Die Piste verlief anfangs im Hochland kurvenreich und es ergaben sich Situationen, wo man plötzlich Seitenwind ausgesetzt war. So kam es, dass sich meine Partnerin bei einem Sturz unter das schwer beladene Fahrrad geriet und sich eine Rippe prellte oder gar brach. Jedenfalls war es ab da für sie eine schmerzhafte Angelegenheit. An dem Tag hatten wir über 140 Km zurückgelegt, also bereits ein Drittel der Etappe! In den nächsten Tagen machten wir wenig Strecke trotz schiebenden Winds. Immer wieder zwang uns ein platter Reifen zum halten und reparieren. Die scharfkantigen Steine der Piste zerschnitten regelrecht die Reifenmäntel. Bei Laguna Grande wollten wir unsere Wasservorräte ergänzen. Wir mussten feststellen, dass Laguna Grande eine längst aufgegebene und inzwischen verfallene Estancia ist. Der Ziehbrunnen war verschüttet, die Laguna ausgetrocknet. Wir hatten nun die Wahl, da es schon nachmittags war, zu dem in ca. 15 Km entfernten Fluss zu laufen um Wasser zu holen, oder bis zu der 50 Km entfernten Estancia La Julia weiter zu fahren. Wir entschieden uns für das Weiterfahren, da der Zeitaufwand derselbe wäre.


Der Schiebewind von den Anden zeigt hier kaum noch Wirkung. Bei der Estancia La Julia quert die Piste den Fluss. Eine Option mehr Wasser zu finden, falls auch diese Estancia verfallen ist.


Am frühen Abend erreichten wir die Estancia La Julia. Zu unserem Entsetzen stellten wir beim Überqueren des Flusses fest, dass es ein übelriechendes verschlammtes Rinnsal ist. Wir suchten die Estancia auf. Sie lag versteckt in einem Pappelhain und wirkte unbewohnt. Ein noch dort lebender Indio teilte uns sein Wasser. Wir waren ihm sehr dankbar für diese selbstlose Hilfe. Der nächste Tag empfing uns mit einem Nieselregen, der im Laufe des Tages zunahm und die Piste allmählich in einen lehmigen Brei verwandelte. Die letzte Tagesetappe bis zum nächsten Ort Comandante Piedra Buena wurde zur Qual: alle Naselang musste mit dem Taschenmesser der fette Lehm von den Reifen runtergehobelt werden, damit die Räder wieder unbehindert durch die Gabel laufen konnten. Die Räder rutschten beim Fahren seitlich weg. Wir konnten nur noch im Schneckentempo fahren. Inzwischen waren wir durch den nassen Lehm total eingesaut, an den Gamaschen klebten dicke Stollen. 25 Km vor Comandante Piedra Buena erbarmte sich ein Viehzüchter unserer und packte uns wie sein Vieh auf die Ladefläche seines „Pick-up´s“. Die Querung der Steppe in 4 Tagen hat uns, trotz all dieser Umstände, sehr gefallen. Wir waren gesättigt von den dramatischen Inszenierungen der Anden. Wir empfanden die kärglich bewachsene Steppe mit ihrer schnurgeraden Piste wie eine willkommene Abwechslung. Es passierte wenig. Gelegentlich fuhr ein Auto vorbei. Oder eine Herde Guarnacos oder Nandus belebten für kurze Zeit die Einöde. Selbst der Wind hörte auf wahrnehmbar zu sein, er verlor sich in der Weite. Es herrschte eine unglaubliche Ruhe, die von der elementaren Form der Landschaft: oben blauer Himmel / Horizont / unten ebene hellbraune Steppe, verstärkt wurde.


Die Augen und das Gemüt konnten sich erholen. Das „Zen“ des Radfahrens.




In Comandante Piedra Buena verproviantierten wir uns aufs Neue. Unser nächstes Etappenziel war Rio Gallegos. Wir fuhren nun auf der asphaltierten Küstenstraße Richtung Süden. Der Wind schob ganz verlässlich aus Nord parallel zur Küste. Nach ca. 40 Km verließen wir die Asphaltsraße und machten einen zweitägigen Abstecher in dem National Park Monte Léon, der direkt an der Küste liegt. Es ging 25 Km auf „ripio“-Piste bis zum Atlantik hinunter. Das Wetter war wieder schön. Die Sonne schien fast den ganzen Tag. Es war wiederum wunderbar warm.


 Der Park wurde von einem erfolgreichen US Amerikaner aus der Textil und Outdoor Branche durch eigene Mittel finanziert und dem argentinischen Staat üebereignet.


Der Park liegt abseits, bietet aber eine Begegnung besonderer Art. Hier leben an der Küste zahlreiche Tiere, die mit Einrichtung des National Parks einen Schutzraum vor den Menschen erhalten haben. Insbesondere Pinguine, Kormorane und Robben leben hier in großen Gemeinschaften.


Und 150.000 Pinguine können sich nicht irren, einen ganz besonders schönen Platz sich ausgesucht zu haben. Das konnte ich nur bestätigen. Unvergesslich werden mir auch die Sonnenuntergänge an dieser Küste bleiben.


Bei der Weiterfahrt Richtung Rio Gallegos auf der asphaltierten Küstenstraße nahm auch der Verkehr spürbar zu. Es waren hauptsächlich große Trucks, die die Straße befahren. Für uns Radler nicht immer gefahrlos. Kreuzen sich zwei Trucks und war man ihnen im Wege, dann war man gut beraten, wenn man sein Leben liebte, auf den unbefestigten Seitenstreifen auszuweichen. Wenn sich die Trucks wegen der kleinen Radler nicht behindert fühlten, waren sie wie alle Argentinier höflich und charmant und dann auch die lautesten „Claqueure“.


Rio Gallegos ist nur insofern erwähnenswert, als dass hier immer noch die argentinische Marine zur Wiedereinnahme der „Islas Malvinas“ aufrufen und dass man sich als Radler hervorragend verproviantieren kann.


Von Rio Gallegos radelten wir weiter mit gutem Rückenwind Richtung Süden. Wir wollten weiter nach Feuerland. Die Grenze musste erneut überquert werden. Wir radelten wieder in Chile. Die Magalanstraße überquerten wir an der schmalsten Stelle unspektakulär mit einer Fähre. Die Küstenlandschaft ist flach, bei Ebbe sah man große Wattflächen, die trocken gefallen waren. Der Himmel war ständig in Veränderung: der Wind trieb Wolken vor sich her, die laufend das Wetter neu bestimmten. Aus sicherer Ferne könnten wir erleben wie ein Regen- oder Hagelschauer nach den andern mit dem nächsten Sonnenabschnitt wechselte. In Reaktion zogen wir den Regenschutz an und aus. Irgendwie blieben wir davon verschont. Manchmal hatten wir das Gefühl, dass sich die Regenwolken wie magisch vor uns öffneten um sich hinter uns wieder zu schliessen. Das Wettersystem habe ich nicht verstanden.


Wir radelten nun in Feuerland. Die Insel war landschaftlich die Fortsetzung der endlosen Steppenlandschaften, die wir die letzten Wochen durchradelt hatten. Nur war es grüner, was auf die häufigen Niederschlägen zurückzuführen war. Viehzucht wurde hier noch betrieben, hauptsächlich sahen wir Schafsherden. Auch sahen wir jetzt häufiger Estancien, die noch bewirtschaftet wurden. Und es gab eine neue Erwerbsquelle: Erdgas. Ob das die Chilenen vorausgeahnt hatten, als sie letztes Jahrhundert im Handstreich den Argentiniern dieses Gebiet weggenommen hatten? Damals wollten sie die Kontrolle über die Magalanstraße gewinnen, aber kurze Zeit später wurde der Panamakanal gebaut und Feuerland versank wieder zurück in die Bedeutungslosigkeit.






Wir überquerten ein weiteres Mal die Grenze und fuhren in Argentinien weiter. Hier bot sich ein ähnliches Bild wie in Chile. Neben Erdgas wurde auch noch Erdöl gefördert, z. T. auch Off-Shore. Diese neuen Erwerbsquellen verschaffen Feuerland zu einem lokalen Wirtschaftsboom. Die Ruta 3 ist bereits durchgehend asphaltiert. Der Individualverkehr hat zugenommen und mischt sich unter die Trucks. Als wir die Küste verließen, um die Anden ein letztes Mal zu überqueren, verabschiedete sich der Schiebewind, an den wir uns inzwischen so gut gewöhnt hatten. Die Fortsetzung der Straße im Landesinneren war landschaftlich abwechslungsreicher. Wir verließen die steppenartigen Ebenen und strampelten langsam und allmählich durch hüglige Landschaften bergauf. Es meldete sich wieder der Seitenwind. Aber wir kennen ihn schon und er ist recht zahm. Die ersten Bäume nach langer Zeit umsäumten die Straße. Sie waren mit Bartmoosen bewachsen und sahen aus wie uralte ungepflegte Gespenster. In Tolhuin kündigte sich der Winter an. Es war fürchterlich kalt. Die Radler Saison war vorbei. Wir suchten die Confiteria von Tolhuin auf. Sie war einzigartig und hatte bereits viele Radler glücklich gemacht. In diversen Reiseberichten im Internet und in Reisebüchern ist sie lobend beschrieben. Wenn man längere Zeit kulinarische Entbehrungen ertragen musste, ist diese Confiteria die Offenbarung! Auf dem Campingplatz waren wir die einzigen Gäste und bekamen unverhoffter Weise das Gemeinschaftshaus zugewiesen, welches der freundliche Besitzer vorher tüchtig eingeheizt hatte. Der Wind hatte zugelegt und fegte durch alle Ritzen und Lücken. Wir bauten im Haus unser Zelt auf und legten die ganze Nacht Holzscheite in dem Kanonenofen nach. Das Gemeinschaftshaus entpuppte sich als ein „Gesamtkunstwerk“. Jeder Reisende, der hier übernachtete, hatte bei der Gestaltung des Innenraums etwas beigetragen. Sei es, dass er ein Bild gemahlt hatte, oder sonst wie irgendetwas Persönliches über sich erkennbar aufgehängt hatte. Wir steuerten ein Täfelchen mit Aufzeichnung unserer Route bei, welches wir an die Wand nagelten. Der nächste Morgen ließt nichts Gutes erahnen. Der Wind hatte noch mehr zugelegt, die Uferbrandung des Lago Fagnano war meterhoch, die Schneegrenze in den Anden war deutlich sichtbar tiefer als tags zuvor.


Der Pass Caribaldi ist zwar nicht sehr hoch, er wird aber bei Schnee nicht geräumt. Unser freundlicher Gastgeber war zuversichtlich und war sich sicher, dass wir es noch heute über den Pass schaffen würden.


Wir starteten los, der Wind blies frontal. Wir arbeiteten uns langsam bergauf. Die Passstraße war zum Glück neu trassiert und durchgehend asphaltiert. Die Steigungen waren mit Gepäck zu schaffen. Beim letzten Anstieg gerieten wir in ein heftiges Schneetreiben. Ein Weiterfahren war unmöglich: die Sicht war gleich null. Wir kehrten um und fuhren den Pass bis unterhalb des Schneetreibens wieder hinunter. Dort verbrachten wir eine kalte Nacht. Morgens begrüßte uns zwar die lachende Sonne und es war fast wolkenlos aber das Wasser in unseren Flaschen war gefroren, das Zelt mit Eis überzogen. Nach kurzem warmem Frühstück nahmen wir den letzten Passabschnitt in Angriff. Die Passstraße war schneefrei, der Schnee war nicht liegen geblieben. Auf der Passhöhe genossen wir ein wunderbares Panorama. Dann ging es nur noch bergab durch lange Täler und vorbei an einem Spalier Abschied nehmender Bergiganten. Wir erreichten Ushuaia, die südlichste Stadt der Welt. Wir hatten punkt- und zeitgenau unser Reiseziel erreicht. Ushuaia war eine richtige Boomtown, man konnte ihr sogar schöne Seiten abgewinnen. Auch wenn sie sich werbewirksam als die „südlichste Stadt der Welt“ brüstet, so ist sie eben eine Stadt wie viel andere Städte in einer globalisierten Welt…also wie zuhause. Dennoch die Lage der Stadt ist einzigartig. Sie liegt am Beagle Kanal und schmückt sich mit einem Zirkus von mächtigen Bergzacken, die über das ganze Jahr mit Schnee bedeckt sind. Wir hatten noch ein paar Tage Zeit bis zu unserem Rückflug nach Buenos Aires. Während dieser Zeit ließen wir es uns gut gehen und besuchten häufiger als sonst die Confiterias. Hatten wir doch guten Grund. Zum einem passten die Hosen nicht mehr, zum anderem bot es sich an, dem nicht aufhörenden Schneeregen zu entgehen.


In der Rückschau lässt sich festhalten: Wir waren 10 Wochen unterwegs, davon sind wir 8 Wochen Rad gefahren und gewandert. In der Auswahl der Jahreszeit und Richtung Route ging die Rechnung auf. Wir hatten während unserer Radtour und dem Wandern immer gutes Wetter, bis auf zwei Regentage. Und nun zum Thema Wind: er hat sich im großen Ganzen freundlicherweise an sein Muster gehalten: die Windbilanz war positiv. Wir hatten mehr Rückenwind als Gegenwind.


Weitere Fotos sind im Link Fotogalerie  anzusehen.


Alexander Jung



Fakten:



  • Gesamte gefahrene Strecke: 2500 km, davon 2/3 auf asphaltierten Staßen und 1/3 auf "Ripio" (Pisten).


  • Im Durchschnitt sind wir 70 km/Tag gefahren. Längste gefahrene Tagesetappe war 140 km, kürzeste gefahrene Tagesetappe war 30 km.