Im Gegensatz zu den deutschen Tiedentabellen weisen die französischen eine differenziertere Darstellung auf, um den extremen Gezeitenunterschieden von teilweise über 10 m gerecht zu werden. Im Vergleich dazu weist die Nordsee Gezeitenunterschiede von 2 bis 3 m auf.
Anfangen wollten wir in Le Conquet, in der Nähe von Brest. Der Wetterbericht kündigte für die nächsten Tage schlechtes Wetter mit viel Wind an.
An der Einsatzstelle treffen wir wie abgemacht Alain. Er bringt einen weiteren Paddler mit: Yves. Unsere Überfahrt zur Ile de Molène mussten wir auf Anraten unserer beiden französischen Paddler sein lassen. Wegen des zu erwartenden schlechten Wetters hätten wir auf der Insel festsitzen können und aus terminlichen Gründen wäre das für Alain nicht gegangen. Also entschieden wir uns gemeinsam küstennah Richtung Norden zu paddeln, um gegebenenfalls bei Notwendigkeit an Land gehen zu können.
Die Bedingungen waren Anfangs sehr günstig, um mit den ungewohnt hohen Gezeitendifferenzen des Meeresspiegels erstmals vertraut zu werden. Die französischen nautischen Tabellen wiesen in den ersten Tagen einen kleinen Koeffizienten von ca. 30 bis 35 % auf, d.h. Sonne und Mond standen im Rechten Winkel zueinander (Nipptiede). Das Wetter blieb durchwachsen: kein Tag ohne Regenschauer, teilweise behinderten uns örtlich auftauchende Seenebel, es gab aber auch immer wieder kurze Momente mit kurzen Aufklarungen, die Winde hielten sich in den Grenzen (unter BF4) wo Paddeln zwar manchmal schon erschwehrlich aber noch möglich ist; die Wechselhaftigkeit des Wetters blieb für die ersten 1½ Wochen eine fester Begleiter. Die vom Wetterbericht gebetsmühlenartig angekündigten Stürme blieben zum Glück aus. In der letzten halben Woche herrschte sogar schönes sommerliches Wetter ohne Regenschauer und wenig Wind. Die Wassertemperaturen betrugen ca. 18ºC und erschienen uns angenehm warm.
In den ersten Tagen konnten wir aufgrund des kleinen Koeffizienten auch gegen die Strömungen paddeln. Die maximalen Strömungs-geschwindigkeiten waren in Küstennähe i.A. kleiner als ½ Knoten, also fast vernachlässigbar. Mittags nutzen wir die Zeit für eine Pause, um dann zu einem günstigen Zeitpunkt weiter zu paddeln, wenn möglich mit der Strömung. In der Regel standen wir mit Sonnen-aufgang auf und paddelten bis in den frühen Abend hinein, um dann irgendwo zu biwakieren. So war es möglich - in einem Zeitfenster von mehr als 6 Stunden - unabhängig von den Tiedenströmungen Strecke zu machen, da sich die Einflüsse aus Flut und Ebbe mehr oder weniger ausglichen.
Zum Monatsende erhöhte sich der Koeffizient auf über 110%, d.h. Sonne und Mond standen in einer Achse zueinander (Springflut). Wir konnten deshalb nicht wie bisher ins Kajak steigen und lospaddeln, sondern mussten vorher an Hand der Strömungskarten und den Tiedentabellen das richtige Zeitfenster und die richtige Richtung wählen. Die dann herrschenden Gezeitenströme betrugen bis zu 2 Knoten, und an einigen Stellen wie z.B. zwischen Inseln erheblich mehr.