von Santiago de Cuba nach Pinar del Rio
4.3. bis 22.4.2016
Fotos von Alexander Jung und Olga Wernet.
Um es gleich vorwegzunehmen: Cuba ist das ideale Reiseland für Radfahrer. Es gibt immer noch wenig Verkehr, die Insel ist überwiegend flach. Die Straßen sind für Radfahrer im Allgemeinen gut zu fahren. Es gibt nur wenige Bereiche, die einem mit extremen Steigungen herausfordern. Räder lassen sich problemlos mit Bussen oder Taxis transportieren. Die Einheimischen sind gegenüber den fremden Radfahrern offenherzig und freundlich zugewandt...und als Radfahrer kann man sich von dem Improvisationstalent der Cubaner einiges abschauen. Das Kampieren ist fast nirgends möglich, dafür gibt es bezahlbare Möglichkeiten, in den sog. Casas Particulares zu übernachten.
Cuba ist ein Reiseland, wo ich mich überall und jederzeit sicher gefühlt habe. Trotzdem sollte man nicht vergessen, dass seit der von den US Amerikanern verhängten Wirtschaftsblockade und dem Zerfall der Sowjetunion, großer Mangel an allem herrscht. Das äußert sich nicht nur im täglichen Leben, etwa durch die überschaubare Auswahl der verfügbaren Lebensmittel, sondern auch in den Warnungen der Cubaner selber, sich vor deren Begehrlichkeiten in Acht zu nehmen. Also Fahrräder niemals unbeaufsichtigt abstellen, insbesondere nachts.
Für die Fahrradtour habe ich mein eigenes Rad mitgenommen. Allerdings habe ich in den letzten Jahren festgestellt, dass der Transport mit dem Flugzeug Jahr für Jahr teurer geworden ist und der Spaß inzwischen richtig Geld kostet! Als Option gibt es die Möglichkeit z.B. in Habana gute und für solche Zwecke geeignete Räder auszuleihen.
Cuba weist drei sehr unterschiedlich ausgeprägte Gegenden auf, die mich gleichermaßen landschaftlich als auch fahrradmäßig angesprochen haben. Das sind im Südosten die Südküste, insbesondere der Abschnitt der Sierra Maestra, in der Inselmitte im Süden die Sierra del Escambray und im Nordwesten die Mogotes in der Cordillera de Guaniguanico. Es sind zwar nicht die ganz großen Herausforderungen für passionierte Fahrradfahrer, aber wer es liebt kann sich auch dort an einigen Stellen richtig abquälen. Die Bergstrecke z.B. zwischen Santa Clara und Trinidad weist auf langen Abschnitten bis zu 13% Steigung auf! Ansonsten ist die Insel eine relativ flache und grüne, intensiv genutzte Kulturlandschaft.
Als Individualreisender kreuzt man an manchen Orten unweigerlich die Ströme des Massentourismus. Trinidad, Valle de los Ingenios und Vinales sind solche touristischen Durchlauferhitzer. Man kann sich dem kaum entziehen, will man diese Orte kennenlernen. Ebenso ist es mit Habana Vieja, aber mit dem Unterschied, dass es hier sehr wohl möglich ist. Aber es gibt auch Städte, die vom Tourismus kaum berührt sind. So fand ich Cárdenas die cubanischste aller cubanischen Städte.
Meine Tour fing ich an in Santiago de Cuba im Südosten und beendete sie in Pinar del Rio im Nordosten. Der Tourverlauf ist in der Übersichtskarte nachzuvollziehen. Den ersten Teil der Tour, also ¾ der Gesamtstrecke, habe ich alleine zurückgelegt, den 2. Teil der Tour, also ¼ der Gesamtstrecke, habe ich mit Olgas Begleitung zurückgelegt.
Im Gegensatz zu meiner Tour in Vietnam war der Zeitpunkt meiner Reise gerade noch richtig gewählt. Hatte ich doch in Vietnam den Eindruck 10 bis 15 Jahre zu spät gekommen zu sein. Cuba konnte ich erleben, bevor die großen Veränderungen und Umwälzungen alles so verändert haben, dass es ebenso aussieht wie überall in der globalisierten Welt. Der „Cambio“ kündigt sich zwar schon überall an, die kapitalistische Großinvasion mit flächendeckendem Abwurf von Coca-Cola, Smartphones, Nestlé und Co. hat zum Glück noch nicht stattgefunden, steht aber bevor. Im Moment kann man in Cuba noch die zum Klischee stilisierten, korrodierenden Oldtimer aus den 50igern bewundern und den fotogenen, bröckelnden Charme der alten Fassaden ganzer Stadtviertel im Kolonialstil. Die Ästhetik des Verfalls ist immer noch das Logo Cubas.
In den großen Städten hat man angefangen öffentliche Gebäude und Plätze wieder instand zu setzen. Insbesondere in der Habana Vieja wurden schon große Teile saniert und weisen die Qualität „neu“ auf, ohne dass all zu viel der Abrissbirne oder den neuzeitlichen Ansprüchen zum Opfer fallen musste. Das Ergebnis der Sanierung stimmt einen zwiespältig: Zum einen erstrahlt die Altstadt in einem neuen Glanz und ist vor dem endgültigen Zerfall gerettet, zum anderen führen wirtschaftliche Zwänge dazu, alles zu kommerzialisieren.
So ist die Altstadt wie ein Abklatsch europäischer sanierter alter Städte, wo Touristenmassen sich durch die engen Gassen schieben und wo die ursprünglich hier lebenden Einwohner von den zahllosen hochpreisigen Restaurants, Boutiquen und Souveniersläden verdrängt werden. Aber ein Straßenzug daneben sieht es noch so aus, wie es war...das Leben spielt sich dort weiterhin auf der Straße ab, die Häuser weisen deutliche Spuren des Verfalls und die Fassaden im kolonialen Schick eine wunderschöne Patina auf.
Musik ist in für die Cubaner Bestandteil ihrer Identität und somit des Alltags. Besonders in den Städten östlich von Habana wurden abends Konzerte im Freien abgehalten für jedermann. In Santiago de Cuba wird der „Son“ kultiviert und in Matanzas der „Danzón“, aus dem sich später in Argentinien der „Tango“ entwickelte. In Habana hörte ich mehr den „Reggaeton“.
Wie andere ehemals kommunistische Länder sind die Landstraßen gesäumt von politischen Parolen, bzw. von den Ikonen der cubanischen Revolution. Da die Inhalte der Parolen keine Erfolge der Gegenwart anpreisen können, nehmen sie oft Bezug auf die Vergangenheit, i.d.R. auf das Ereignis der Revolution. Die Inszenierung der Helden der Revolution erfolgt mehr oder weniger nach dem gleichen Muster wie die katholische Kirche ihre Heiligen inszeniert. Man knüpfte wohl an etwas an, was im kollektiven Gedächtnis bereits verankert war und fügte noch ein paar Heilige dazu. Die Parolen wirken heutzutage verstaubt wie leere Worthülsen, da inzwischen auch eine Generation nachgewachsen ist, die damit nicht mehr viel anfangen kann und will. Es ist abzuwarten, ob es Cuba gelingen wird seine Identität zu bewahren bei gleichzeitiger Aufnahme von Neuem. Man kann es ihnen nur wünschen.
Die Ostbetonmentalität der „Organe“ kriegt man allerdings immer noch zu spüren, z.B. sobald man eine staatliche Dienstleistung beansprucht: Bei meiner Ankunft dauerte die Aushändigung des Gepäcks ganze 4 Stunden und es war unmöglich, dies zu beschleunigen. Oder ich wurde zum Bittsteller erniedrigt und schikaniert bei der Verlängerung meines Visums auf 2 Monate. Und, und, und...
I.A. ist aber der Umgang mit den Cubanern geprägt von Freundlichkeit, Pragmatismus und gelegentlich ein bisschen Schlitzohrigkeit, wenn es um das Bezahlen geht...
Die Cubaner strahlen viel Selbstbewusstsein aus. Soziale Unterschiede sind kaum auszumachen, es scheint eine egalitäre und zufriedene Gesellschaft zu sein, trotz des vorherrschenden Mangels. Die Cubaner begegneten mir mit Neugier und Freundlichkeit. Ich mochte sie. Ihr Selbstbewusstsein zeigt sich auch in der Weise, wie sie sich kleiden: sie präsentieren sich so, wie sie sind, ungeachtet körperlicher Unzulänglichkeiten, Kleidung oder Hautfarbe, sie sind attraktiv.
Weitere Fotos und Clips können in der Fotogalerie angeschaut werden.
Alexander Jung
Fakten:
- zu empfehlendes Casa Particular in Habana, Bezirk Vedado:
oscaralminaque@gmail.com
Oscar kooperiert mit Radfahrern. Ich konnte meine Transportschachtel für das Fahrrad bei ihm lagern.
- Olgas Fahrrad wurde bei Cuba Rutabikes ausgeliehen, Bezirk Vedado :
contacto@cubarutabikes.com
www.cubarutabikes.com
- Die Gesamtstrecke der Tour betrug ca. 2100 km.
Die Tagesleistung betrug iM 90 km/Tag.
Die max. Tagesdistanz betrug 130 km.
- Fahrräder dürfen in Cuba die Autobahn benutzen.
gebrochener Fahrradständer (A)
abgebrochene Spitze vom Sattel (A)