Radtour in Thüringen und Sachsen-Anhalt
von Halle nach Plauen, vom 29.6. bis 11.7.2021
Fotos: Alexander Jung und Olga Wernet
Am nächsten Tag fahren wir auf dem super ausgebauten Saaleradweg weiter, der uns an den wichtigsten Sehenswürdigkeiten vorbeiführt. Unseren ersten Halt machen wir in Merseburg. Der Ort selbst ist klein und wird beherrscht von der historischen Schlossanlage und dem gewaltigen Dom. Bei der Weiterfahrt an der Saale entlang kommt Leuna in Sicht, nur in der Ferne, denn der Saaleradweg umgeht dieses mächtige Industriepanorama großräumig.
In Bad Dürrenberg wird salzhaltige Sole aus dem Untergrund gefördert und in sog. Gradierwerken, die sich über hunderte von Metern erstrecken, mit Schwarzdornreisig-Filtern konzentriert und zu Salz weiterverarbeitet. In früheren Zeiten war das die Grundlage des Wohlstandes dieser Gegend. Heute sind sie noch beeindruckende, historische Industriedenkmäler.
Wir passieren Weißenfels, ein kleines Städtchen mit schönen alten Bauwerken. Trotzdem macht sich bei uns Unbehagen breit: was ist los? Das Städtchen wirkt wie ausgestorben. Außer ein paar Einheimischen und uns beiden Radtouristen ist niemand zu sehen...! Wo sind die Menschen geblieben. Die schönen Bürgerhäuser des zentralen Marktplatzes sind teils herausgeputzt, teils entwohnt und zur Kulisse verödet. Bonjour tristesse!
Wer glaubt, der Radweg entlang der Saale sei nur etwas für Sonntagsradler, der wird eines Besseren belehrt. Die Streckenführung fordert gelegentlich, an den Steilufern der Saale Steigungen bis 20% zu erklimmen! Allerdings sind es immer nur kurze Abschnitte. Dann ist Schieben angesagt, was anfangs entwürdigend ist für einen Tourenradler, ... ihn aber auch adelt!
Corona bedingt wollen wir, Olga und ich, eine Radtour durch Mitteldeutschland unternehmen. Die Gegend ist uns noch unbekannt. Bekannt war uns aber, dass hier zu früheren Zeiten eine bedeutsame Kulturlandschaft war, in der es noch heute Vieles zu bestaunen gibt. Nicht zuletzt entstanden hier in den letzten Jahrhunderten große Werke der Literatur, Musik und Architektur. Große Namen wie Goethe, Schiller, Bach, Händel, Liszt, etc. sind mit diesem Teil Deutschlands verbunden. Und baulicherseits gibt es eine Vielzahl von mittelalterlich geprägten Städten, die die beiden Weltkriege ziemlich schadlos überstanden haben und heute wieder in neuem Glanz erstrahlen. Auch landschaftlich ist diese Gegend abwechslungsreich mit ihren Flusslandschaften und dem Mittelgebirge. Und in den Senken ducken sich immer wieder kleine Orte, als ob sie sich verstecken wollen.
Mit dem Regionalzug fahren wir bis nach Halle, um dort unsere Tour anzufangen. Ab Halle wollen wir zunächst – mit kleinen Seitenschlenkern - dem Saaleradweg flussaufwärts folgen. Über den Ilmradweg wollen wir nach Westen abbiegen, um dann ab Saalfeld wieder den Saaleradweg fortzusetzen.
Schon gleich bei der Ankunft in Halle werden wir beim Bahnhof von Halles prominentestem Bürger Händel begrüßt, der uns mit einer coolen Sonnenbrille auf der Nase von einem überlebensgroßen Graffity gönnerisch entgegen lächelt. In Halle beziehen wir bei der Ankunft sofort den Campingplatz. Wir sind die einzigen Gäste. Erklären können wir uns das nur wegen Corona und der instabilen Wetterlage.
Es bleibt noch Zeit, am späten Nachmittag mit den Rädern in die Altstadt zu fahren, um einen ersten Eindruck zu gewinnen. Schon gleich bei der Ankunft auf dem Marktplatz das erste Wow-Erlebnis: die markante Silhouette der 5 Türme der Marktkirche und des Roten Turmes im starken Gegenlicht. Majestätisch! Wir nehmen uns noch einen ganzen Tag, um die Vielzahl der Sehenswürdigkeiten, die die Stadt zu bieten hat, zu besuchen ... man kommt aus dem Staunen nicht heraus. Ich will sie hier gar nicht alle aufzählen, man muss sie selbst für sich entdecken. Nur eine Sehenswürdigkeit möchte ich noch nennen, die sich vor allen anderen durch ihre Einmaligkeit auszeichnet: Das monumentale Landgericht im Jugendstil...eine Pracht ohne Gleichen! Ganz besonders hat mir auch die bunte Vielfalt und das Gewusel der Menschen in der Stadt gefallen...
Wir verlassen den Saaleradweg, um das Sonnenobservatorium von Goseck aufzusuchen. Es liegt inmitten einer hügeligen, offenen Landschaft. Zu sehen sind nur noch hölzerne Palisaden, die doppelreihig und ringförmig angeordnet sind. Es handelt sich um eine Rekonstruktion, die sich aus archäologischen Bodenfunden herleiten ließ.
Vor schätzungsweise 7000 Jahren haben unsere Vorfahren mit dieser Anlage die Sonnenwenden für landwirtschaftliche und kultische Zwecke bestimmen können. Das Sonnenobservatorium gilt als das älteste, bisher bekannte, von Menschen geschaffene!
In Weimar haben wir das einmalige Glück, von einem befreundeten Architekten eine Stadtführung der besonderen und persönlichen Art zu erhalten. Natürlich ist das Bauhaus und dessen Erbe in Weimar von zentraler Bedeutung. Aber auch die Altstadt selber, konzipiert als grüne Gartenstadt, ursprünglich geschaffen aus einem hohen, humanistischen Anspruch, lässt noch heute den damaligen Gründergeist mit Ehrfurcht bewundern.
Große Namen wie Goethe, Schiller, Liszt, die Bauhäusler, etc. sind Repräsentanten jener Zeiten. Ganz im Gegensatz zu diesem freien, humanistischen Geist hat das 3. Reich Spuren der Verherrlichung seiner Macht hinterlassen. Überdimensionale Bauten nicht weit vom Zentrum sind Zeugnisse.
Mittendrin, verwirrend harmonisch eingepasst ist eine riesige, moderne Shopping Mall, die sich nahtlos in dieses seltsame Konglomerat einfügt. Welcher Geist hat wohl hier geherrscht?
Von Weimar aus ist es nicht weit bis Buchenwald. Da wir die stark befahrenen Straßen aus der Stadt hinaus nicht nehmen wollen, bemühen wir die App Komoot, uns einen direkten Radweg auszuweisen. Und die schickt uns in die Pampa! Wieder einmal müssen wir schieben!
Das KZ Buchenwald liegt oben auf einem Hügel mit Sicht in die Ebene bis nach Weimar.
Gleich am Eingangstor wird man empfangen mit der höhnischen, in Eisen geschmiedeten Parole: „Jedem das Seine“. Von der Anlage selbst ist wenig erhalten: nur Grundmauern von Lagerbaracken und ein paar wenige Gebäude. Aber die Weite und die Leere des Lagers lassen uns das Ausmaß dieser Vernichtungsmaschinerie erahnen. Wir verlassen ziemlich bedrückt diesen Ort, von dessen Existenz damals in Weimar niemand gewusst haben will!
Als nächster Ort liegt Naumburg am Saaleradweg. Ein Ort, an dem man nicht vorbeifahren soll. Das Städtchen weist eine gut erhaltene, mittelalterliche Altstadt auf und einen Dom, der als UNESCO-Weltkulturerbe eingestuft ist. Der Dom St. Peter und Paul ist ein architektonisches Meisterwerk des Spätmittelalters. Besonders sind nicht nur die vier Türme, die dem Dom seine charakteristische, äußere Form geben. Auch die Gestaltung und die Aufteilung des Innenraumes sind bemerkenswert. So trennen z.B. zwei Lettner das Hauptschiff von den beiden Chören im Osten und im Westen.
Bei der Weiterfahrt verlassen wir ab Bad Kösen den im Saaletal verlaufenden Radweg und wählen die parallele, bergige Variante. Der Weg ist stellenweise so steil und mit so schlechtem Untergrund, dass wir an einigen Stellen wieder schieben müssen. In Saaleck werden wir für die Quälerei mit großartigen Ausblicken in das Saaletal und dem Besuch zweier romanischer Burgruinen reichlich belohnt.
Nach einer rasanten Abfahrt fahren wir im Saaletal weiter, bis wir in Großheringen auf den Ilmradweg in Richtung Weimar abbiegen.
Kurz hinter Burgk gibt es einen 43 m hohen, hölzernen Aussichtsturm mit fantastischem Panoramablick auf die Stauseen. Wir kommen abends in Kloster am Bleiloch-Stausee an und campieren direkt am Wasser, das noch immer wegen des vielen Regens der letzten Tage im Steigen begriffen ist.
Der Campingplatz ist eine exotische Welt und ist ein Kosmos für sich. Wir haben Glück ... der Pegel steigt irgendwann nicht mehr weiter und wir können die Nacht trocken und in Ruhe im Zelt verbringen.
Am nächsten Morgen geht es laufend steil hoch und runter, aber immer nur kurze Abschnitte. Häufig müssen wir schieben. Komoot schickt uns ein weiteres Mal in die Pampa. Das Muster setzt sich über den Tag fort. Am frühen Nachmittag trübt sich das Wetter ein und es fängt an zu nieseln.
Dann, unvermittelt verändert sich der Nieselregen in einen nicht aufhören wollenden Strippenregen... In kürzester Zeit sind wir durchnässt. Wir konsultieren die Wetter-App: die Prognosen für heute und die folgenden Tage sind schlecht. Wir entscheiden uns, in Plauen die Radtour abzubrechen und mit der Bahn zurückzufahren. Trotz alle dem: schön war´s!
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Alexander Jung
Fakten:
- Gesamtestrecke: 540 km, ca. 60 km/Tg
- Gesamtanstiege: 5100 Hm, ca. 650 Hm/Tg
Bis Erfurt ist es nicht weit. Die wunderschöne Altstadt ist gut erhalten und instandgesetzt. Sie wirkt wie ein großes Open Air-Museum: mit Zitadelle, Dom, Domplatz, Fischmarkt und dem Rathaus, der Krämerbrücke und vielen kleinen, schnuckeligen, mittelalterlichen Häuschen in verwinkelten Gässchen.
Von Erfurt bis Gotha ist dann nur noch ein kurzes Stück von ca. 20 km zu bewältigen. Gotha liegt sozusagen am Ende der Perlenkette: der Straße mit den mittelalterlichen Städten. Auch dieser Besuch ist wieder lohnenswert.
Von Gotha fahren wir am selben Tag weiter nach Wechmar, einem unbedeutend erscheinenden, kleinen Ort, wo jedoch die Vorfahren der großen Musikerfamilie Bach herstammen. Die Landschaft wird hügeliger und abwechslungsreicher.
In der Ferne sind die „Drei Gleichen“ zu sehen, das sind drei Burgen auf drei Hügeln, um die sich diverse Legenden ranken.
Auf unserem weiteren Weg liegt Arnstadt, eine Kleinstadt nicht weit von Wechmar, wo der junge Bach „herumgelümmelt“ haben soll (siehe Denkmal auf dem Marktplatz). In der Hallenkirche, wo der junge Musikus wirkte, soll er die Gläubigen gelegentlich bis an den Rand der Verzweiflung gebracht haben mit seiner unkonventionellen Art, die Noten zu spielen und frei in Verzierungen zu improvisieren. So die Überlieferung.
Bei der Weiterfahrt über gute Radwege und kleine Sträßchen sind immer wieder kurze, steile Anstiege zu bewältigen, die aber in der Regel mit langen, schönen Abfahrten belohnt werden. Leider wird das Wetter immer instabiler. Wir müssen die eine oder andere Husche hinnehmen.
In Saalfeld schließlich gießt es dann in Strömen. Wir besichtigen die sog. Feengrotten, ein ehemaliges Bergwerk. Hier wurden im Mittelalter Mineralien abgetragen, z.B.
Alaunschiefer, das zum Gerben von Leder und zum Färben von Stoffen verwendet wurde. Wundervoll sind die seitdem gewachsenen Stalaktiten und die bunten Ablagerungen in den Kavernen anzusehen, die sich in den inzwischen gebildeten Seen spiegeln. Kunstvolle Ausleuchtung und Musikuntermalung sowie die fachkundige Führung machen den Besuch zu einem Ereignis.
Ab Saalfeld folgen wir wieder dem Saaleradweg flussaufwärts. Er folgt mal mehr und mal weniger der Saale und dann entlang der Stauseen, was landschaftlich sehr reizvoll ist. Es geht laufend rauf und runter. Die Landschaft hat typischen Mittelgebirgscharakter. Überwiegend sind die Radwege gut zu fahren. Lediglich Abschnitte, die nicht asphaltiert sind, weisen Steigungen bis zu 16% auf. Teilweise ist der Untergrund lose und dazu noch vom Regen aufgeweicht. Es sind erschwerte Bedingungen. Heute müssen wir häufiger die Räder schieben. Am Ende verläuft der Radweg auf einer alten Bahntrasse mit mäßiger Steigung. Landschaftlich war dies der schönste Tag der ganzen Tour.